Chalandamarz - ein Ausflug in die romanische Sprache und Kultur

Heute ist ein ganz besonderer Tag!

Für meine Familie, weil unser kleiner Neffe gestern 5 Jahre alt wurde. Und für Graubünden, weil die Bündner nicht Fasnacht feiern, sondern Chalandamarz (der erste des Monats März), und zwar jeweils am 1. März. Deshalb wurde dem kleinen süssen Säugling nach der naschentscha (Geburt) vom bazegner (Grossvater) der Kosename Chalandin verliehen, denn die Familie stammt aus Celerina im Oberengadin. Genauer gesagt jedoch ursprünglich aus dem Unterengadin, deshalb sagen wir bazegner und nicht non, wie im Oberengadin, wo wir jetzt unseren Sitz haben. Aber zu den sprachlichen Unterschieden, später mehr.... .

 

Der Name Chalandin bedeutet, dass der Junge um den Feiertag des Chalandamarz geboren wurde. Chalanda steht im Romanischen jeweils für den ersten Tag des Monats sowie für die Ringelblume. Chalandin ist die Verniedlichung davon. 

 

Was wird an Chalandamarz gefeiert?

Für die Bündner hat der Frühlingsbeginn ein eigenes Datum, nämlich den ursprünglich römischen Jahresanfang. Früher wurden an diesem Tag auch die im Februar gewählten Gemeindepräsidenten, Schreiber und Säckelmeister (Schatzmeister) in ihre Ämter eingesetzt.

 

Am 1. März wird der Winter mit Schellen, Glocken und Peitschen vertrieben. Traditionellerweise werden die Glocken von den Buben getragen und jeder Bub möchte natürlich eine möglichst grosse Glocke, wie man aus der Geschichte vom "Schellenursli" (Uorsin) weiss. Die Mädchen, die heutzutage auch Glocken tragen dürfen, waren früher für den Blumenschmuck zuständig, die Rösas da Chalandamarz (die Rosen des Chalandamarz). So hatte jeder Bub sein eigenes Blumenmädchen. Die Kinder ziehen singend und lärmend durchs Dorf und sammeln meist für die Klassenkasse ein wenig Geld. Zum Abschluss gibt es an vielen Orten einen Kinderball, es wird gemeinsam gegessen und getanzt. In Ftan gehört das Maskentragen noch zum ursprünglich römischen-keltischen Brauchtum. In Scuol und Tschlin wird sogar noch ein Strohmann verbrannt, um den Winter zu vertreiben.

 

Beim Chalandamarz-Umzug hat jeder seine Aufgabe und seine Tracht: Die kleinen Kinder mit den kleinen Glocken, sind die Kälber. Die Knaben und Mädchen mit den grossen, tieftönenden Glocken, den Plumpas, sind die Kühe. Sie alle tragen den typischen blauen Bauernkittel und die rote Mütze. Die drei ältesten des Zuges, der Senn, der Zusenn und der Hirt hüten die wilde Kinderherde. Sie stimmen auch die Lieder an. In einigen Dörfern werden zudem auf einem geschmückten Wagen Spenden und Lebensmittel transportiert, die den Kindern gegeben werden.

 

Bastelanleitung für die Rösas

Falls ihr auch Lust habt, mal mit euren Kindern solche Seidenblumen, wie sie am Chalandamarz verwendet werden, herzustellen, um z.B. den Osterbaum bei euch damit zu schmücken, nachfolgend ein YouTube-Video vom Kanal "Basteln mit Kindern" zum Nachbasteln:

Erklärvideo

 

Die Rätoromanische Sprache 

Jetzt aber noch etwas Hintergrund-Informationen zur rätoromanischen Sprache: In der Schweiz sprechen noch 0.5 % der Bevölkerung oder ca. 60'000 Menschen Romanisch, eine Sprache mit lateinischen Wurzeln. Die romanische Sprache wird in 5 Idiome (Subsprachen) unterteilt:

 

  • Surselvisch: Der Name der am häufigsten gesprochenen romanischen Untersprache stammt aus der Region Surselva. Der Name selbst bedeutet über (sur) dem Wald (selva). Sursilvan wird im Vorderrheintal gesprochen.
  • Unterengadinisch: Das Idiom des Unterengadin und des Val Müstair (Jauer) ist mit etwa sechseinhalbtausend Sprechern die am zweithäufigsten gesprochene romanische Varietät. Der romanische Ausdruck dafür ist im Unterengadin Vallader und im Münstertal Jauer.
  • Oberengadinisch: Ungefähr fünfeinhalbtausend Menschen sprechen dieses Idiom im Oberengadin sowie im Dorf Brail. Es heisst im Oberengadin Puter.
  • Surmeirisch: Knapp dreitausend Menschen sprechen diese Subsprache des Romanischen in den Tälern der Flüsse Gelgia (Julia) und Alvra (Albula). Die Sprache wird Surmiran genannt.
  • Sutselvisch: Diese romanische Varietät ist in ihrer historischen Region seit Beginn des 20. Jahrhunderts weitestgehend ausgestorben und hat heute nur noch etwas mehr als tausend Sprecher im Hinterrheintal. Die Hinterrheintaler nennen ihre Sprache Sutssilvan.

Sprachentwicklung mit Widerständen

Seit dem Schuljahr 1999/2000 wird in den deutschsprachigen Primarschulen Italienisch bzw. Romanisch als erste Fremdsprache unterrichtet. In den italienisch- und romanischsprachigen Primarschulen wird Deutsch als erste Fremdsprache unterrichtet. Im Engadin z.B. werden die Kinder bis zur 6. Klasse auf Romanisch unterrichtet und lernen dann zuerst Deutsch. Seit dem Schuljahr 2012/13 wird Englisch als zweite Fremdsprache ab der 5. Primarklasse unterrichtet. Auf der Sekundarstufe I existieren zudem spezielle Wahlfachangebote für diejenigen Landessprachen, die nicht als Pflichtfächer angeboten werden, also Französisch und Italienisch. Das erklärt auch die Vielsprachigkeit der Bevölkerung, die z.B. im Engadin meist noch Italienisch dazulernt, da viele Grenzgänger aus Italien im Tourismus arbeiten und so die Kommunikation vereinfacht wird.

 

Das Rumantsch Grischun, eine Einheitssprache für alle romanischen Idiome hat sich bis heute noch nicht durchgesetzt, vielmehr stiess es auf erbitterten Widerstand. Am 24. Juli 2020 hat auch Surses, als eine der letzten grossen Rumantsch-Grischun-Gemeinden, infolge einer Volksinitiative beschlossen, zum eigenen Idiom, dem Surmiran, als Alphabetisierungssprache zurückzukehren; seither unterrichten alle Volksschulen wieder in ihrem eigenen Idiom, und die Lehrmittel werden eigens für jedes Idiom separat herausgegeben.


Zum Schluss unter folgendem Link noch ein paar Impressionen vom diesjährigen Chalandamarz, zusammengestellt von der Engadiner Post: Chalandamarz 2023