Sprachen so bunt wie der Herbst - mehrsprachig aufwachsen

Sprachenvielfalt als wunderschöner bunter Herbstwald - für die berufliche Karriere, darin sind wir uns alle einig, bedeutet das Beherrschen mehrerer Sprachen ein klarer Vorteil. Wer Mama oder Papa hat, die Französisch oder Englisch sprechen und zudem einen Elternteil, der Schweizerdeutsch oder Deutsch spricht, wird sich in der Schule mit dem Sprachenunterricht eher leichter tun und wohl auch mit mehr Neugier und Offenheit ans Fremdsprachenlernen herantreten. In solchen Familien wird die Mehrsprachigkeit vermutlich sehr positiv bewertet.

 

Für Migrantenfamilien sieht das Bild möglicherweise etwas anders aus. Sie sind nicht immer glücklich darüber, dass ihr Kind den DAZ-Unterricht besuchen muss. Deshalb versuchen sie vielleicht bereits mit dem Vorschulkind in der Schulsprache zu kommunizieren, damit es in der Schulzeit weniger darunter leidet, weil Deutsch nicht

seine Erstsprache ist. Hier wird die Mehrsprachigkeit des Kindes nicht immer als Segen empfunden. Eltern befürchten, dass die Mehrsprachigkeit zur Überforderung ihrer Kinder führen wird. Wenn Eltern allerdings die Schulsprache zu wenig gut beherrschen, tun sie dem Kind damit keinen Gefallen, da sie dann Fehler weitergeben. Auch Eltern, die die deutsche Sprache relativ gut sprechen, haben in ihrer Erstsprache einen grösseren Wortschatz, kennen eher Reime und Sprichwörter und können Ironie oder Humor besser ausdrücken. Es empfiehlt sich also immer mit dem Vorschulkind in der Erstsprache zu kommunizieren.

 

Während einer Weiterbildung zur Mehrsprachigkeit von Kindern bin ich auf eine Publikation von Barbara Ateras, Sandra Bucheli, Sandra Däppen und Simone Kannengieser mit dem Titel "Sprachen inklusiv: Lernen in allen Sprachen" gestossen, die meine Erfahrung beim Sprachen Lernen mit Kindern sehr gut widerspiegelt. Gerne möchte ich nachfolgend zusammenfassend daraus berichten.

 

Für Erwachsene ist das Erlernen einer Fremdsprache mit grossen Mühen verbunden und sehr zeitintensiv. Das Sprachenlernen bei Kindern kann aber gemäss Autorinnen nicht damit verglichen werden. Durch das Hören und ihre unbewusste Anpassung an die Kommunikation der Umgebung, können Kinder mühelos mehrere Sprachen gleichzeitig erlernen. Es ist allerdings wichtig, dass die Sprachen das alltägliche Handeln kontinuierlich begleiten. Ebenso kann nicht davon gesprochen werden, dass das häufige Sprechen der Erstsprache den Kindern zu wenig Zeit lässt, Deutsch zu lernen. Ganz im Gegenteil wird gemäss Forschung sowohl die sprachliche Entwicklung insgesamt als auch die kognitive Entwicklung der Kinder durch die Mehrsprachigkeit begünstigt. Besonders interessant fand ich, dass sogar bei Kindern mit Beeinträchtigungen Mehrsprachigkeit nicht zu zusätzlichen Entwicklungsverzögerungen oder anderen nachteiligen Effekten führt und die Kinder dadurch auch nicht mehr belastet werden.

 

Eine Problematik im Bezug auf den schulischen Kontext sehen die Autorinnen darin, dass Sprachförderung in der Schule oftmals noch mit Deutschförderung gleichgesetzt wird. Dadurch wird die sprachliche Vielfalt der Schüler negiert und ihre Erstsprachen werden entwertet. Vor allem bei Sprachen und Kulturen, derer die Lehrkräfte nicht kundig sind, bestehen vielfach Berührungsängste, die zu weiteren Abwertung der Herkunftssprachen der Schüler*innen führen. Die Autorinnen betonen hierbei, dass die menschenrechtliche Gleichheit nur gewährleistet werden kann, wenn hier ein Umdenken stattfindet. Sowohl für die soziale Gerechtigkeit als auch die Chancengleichheit ist es sehr wichtig, dass dieses Ungleichgewicht künftig behoben wird.

 

Auch Kritikern, die befürchten die Sprachenvielfalt verdränge die Mehrheitssprache, Einsprachige würden benachteiligt oder das sprachliche Niveau in der Gesellschaft sinke und das gehobene Deutsch ginge durch viele mehrsprachige Kinder verloren, widersprechen die Studien. Denn nicht nur der Wortschatz auch grammatische Strukturen ändern sich kontinuierlich in einer Gesellschaft. Die Sprachrichtigkeit als Bemessungsgrösse stellt daher immer nur einen bestimmten historischen Zeitpunkt dar. Weshalb auch historische Texte für den heutigen Leser sonderbar anmuten.

 

Wenn Lehrkräfte also künftig vermehrt versuchen mehrsprachiges Lernen zu ermöglichen, indem sie sich für die Erstsprachen ihrer Schüler*innen interessieren und diese in den Unterricht zu integrieren versuchen, z.B. im Rahmen von sprachlichen Vergleichen oder im NMG-Unterricht, wenn über verschiedene kulturelle Ereignisse gesprochen wird, dann fördern sie das enorme Potenzial, das Mehrsprachigkeit mit sich bringen kann. Wichtig ist dabei auch, dass das bisherige Vorgehen stets und in jedem Kontext das Sprechen in Standardsprache Deutsch zu fordern, künftig zugunsten der Mehrsprachigkeit gelockert wird. So ist es gemäss Autorinnen durchaus sinnvoll, wenn zwei fremdsprachige Kinder sich gegenseitig ein Matheproblem in ihrer Erstsprache erklären, weil sie dadurch kognitiv entlastet werden können. Natürlich fordert dies von der Lehrkraft einiges an Offenheit und Toleranz. 

 

Ein solches Vorgehen könnte künftig nicht nur die Gleichberechtigung der Sprachen wieder herstellen und somit den Selbstwert der mehrsprachigen Kinder auch aus Migrantenfamilien stärken. Es würde auch bei einsprachigen Kindern die Neugier und Offenheit für das Sprachenlernen vermehrt fördern und ihre sprachliche und kognitive Entwicklung verbessern. Ganz generell würde damit auch die gesellschaftliche Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Sprachen und Kulturen gefördert. Es ist also zu wünschen, dass Schulen sich langsam auf den Weg machen, Mehrsprachigkeit ganz generell in einem viel grösseren Ausmass an Schweizer Schulen zu fördern, damit die Sprachenvielfalt und die Vielfalt der Kulturen in unserer Gesellschaft wie ein bunter Herbstwald in allen Farben erleuchten darf.

 

Quelle: 

Sprachen inklusiv: Lernen in allen Sprachen von Barbara Ateras, Sandra Bucheli, Sandra Däppen und Simone Kannengieser

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